IFA-Glosse 2010
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Nun ist sie vorbei, die IFA, und hat ihre Pforten bis nächstes Jahr geschlossen. Sie präsentierte im Bereich Konsumelektronik alles, was das Herz begehrt. Geschäftsleute aller Herren Länder in feinem Zwirn mit wichtigtuerischer Miene in Tech-Talk vertieft beherrschten die Szene und bildeten einen netten Kontrast zum kurzbehosten Rentner mit weißen Socken und Sandalen, der sich mit „Mutti“ und den Menschentrauben durch die Hallen schob.
Die Boxen der Heimkino-Anlagen waren bis zum Anschlag aufgedreht und machten mit ihrem Lärm einem startenden Flugzeug Konkurrenz. Fernseher so groß, dass man von einem Ende zum anderen mit dem Fahrrad fahren muss, verlockten den potenziellen Konsumenten, die – wenn sie mal kaputt gehen – immer noch als Schlittschuhbahn taugen. 3D-Technik lud ein, die Tiefen des TV-Gerätes zu erforschen, wenn nicht das Panel den tastenden Händen energisch Einhalt gebot. Hybrid-Fernsehen als zukunftsweisende Technologie war in aller Munde. Fragte man eine der netten Hostessen mit äußerst angenehmem Äußeren, was denn an der Technik zwitterhaft sei und ob es sich ähnlich wie bei Fahrzeugen um eine Kombination aus elektrischem Antrieb und Verbrennungsmotor handele, erntete der Fragende nur verständnislose Blicke. Mit IPTV verhält es sich anscheinend wie damals mit Westfernsehen in Dresden: Wer es nicht hat oder nicht empfangen kann, befindet sich im (virtuellen) Tal der Ahnungslosen.
Intelligente Kühlschränke lauerten dem Besucher auf und fragten ihn, was sie bestellen sollen. Nicht minder schlaue Einbauherde luden zur Röstparty im Inneren ein. Mit Grausen beschleunigte der Passant seinen Schritt in Erinnerung an das Märchen von Hänsel und Gretel.
Die Hersteller von Navigationsgeräten präsentierten uns ihre Produkte auf Pressekonferenzen, verwöhnten abends unseren Gaumen und versuchten, uns während eines Hubschrauberfluges über Berlins Autoverkehr klar zu machen, warum die Menschheit ohne ihre Erzeugnisse eine zum Aussterben verurteilte Spezies sei.
Wir fragten Vertreter der einschlägigen Smartphone-Firmen, was denn an den Internet-Gerüchten über die angeblich kommenden Super-Multitelefone dran sei. Wir hörten Sätze und Halbsätze wie „Darf ich nicht sagen …“ (zwinker, zwinker), „… kann ich so weder bestätigen noch verneinen …“ (wieder unkontrolliertes Zucken mit dem Augenlid), „… bleibt dem MWC in Barcelona vorbehalten …“, und „… wenn die Konkurrenz das tut, werden wir sicher nicht zurückstehen …“ oder als Gipfel – der Gesprächspartner senkte seine Stimme bis zu einem kaum hörbaren Flüstern, rückte verschwörerisch näher bis sein Atem zu spüren und die Blutgruppe in den Augen abzulesen war – „… nur für Euch und unter der Hand …“. Anscheinend gab es einen kollektiven Maulkorberlass der Smartphone-Hersteller für die IFA.
Und so bleibt es bei Johann Wolfgang von Goethes Erkenntnis: „Der Zeitungsschreiber selbst ist wirklich zu beklagen.// Gar öfters weiß er nichts, und oft darf er nichts sagen“.