Von kleinen handlichen, über portable bis hin zu festeingebauten Navigationssystemen, ein Großteil der marinen Navigation wird heutzutage von Satelliten-gestützten Geräten übernommen. Wikinger segelten bereits vor mehr als 1000 Jahren bis nach Amerika. Ihr Hilfsmittel war höchstwahrscheinlich ein Kristall mit besonderen Eigenschaften…
Wikinger entdeckten Neufundland bereits vor 1000 Jahren
Noch bevor es der Kompass von China nach Europa geschafft hatte, haben Wikinger die Reise über den Atlantik nach Island bestreiten können. Später, etwa um 985 n. Chr., gelang es Erik „dem Roten“ Thorvaldsson als erstem Wikinger von Island nach Grönland überzusiedeln. Sein Sohn Leif Eriksson schaffte es sogar noch bis zur Insel „Vinland“. Er gilt daher auch als der Entdecker der heutigen kanadischen Insel „Neufundland“. All diese Umstände konnten durch zahlreiche archäologische Funde bewiesen werden.
Wenn Wolken den Stand der Sonne verschleiern
Was aber half den frühen Seefahrern auf dem offenen Meer die Schiffe auf dem Richtigen Kurs zu bringen und zu halten? Natürlich kannten sie sich mit der Bestimmung der Himmelsrichtung an Hand der Sonne am Tage und mit Hilfe der Gestirne bei Nacht aus. Doch was half ihnen, wenn der Himmel durch dicke Schichtwolken verdeckt wurde? In solch einem Szenario ist es nur schwer oder gar unmöglich den genauen Stand der Sonne zu erkennen. Kleinste Abweichungen bei der Bestimmung könnten den Kurs des Schiffes jedoch so stark verändern, dass es einem im besten Falle noch so ergeht wie Christoph Columbus. Man gelangt zum falschen Fleck und hält ihn für den richtigen.
Der Sonnenstein aus der „Saga von König Olaf“
Wikinger wussten sich offensichtlich bereits durch technische Mittel zu helfen. Für einen so genannten Sonnenkompass steckten sie einen kurzen Stab in das Zentrum einer Holzscheibe und erhielten dadurch ein Sonnenuhr ähnliches Gerät. Von einem anderen „mysteriösem“ Hilfsmittel ist in der „Saga von König Olaf“ die Rede. Ein „Sonnenstein“ soll dem seefahrenden Volk bei der Navigation gedient haben. Selbst dann wenn sich die Sonne, typisch nordisch, lange Zeit nicht am Himmel blicken ließ.
Bisher gibt es keinen eindeutigen archäologischen Beweis dafür, dass Wikinger tatsächlich einen solchen Sonnenstein verwendet haben. Doch verschiedene Untersuchungen der letzten Jahre legen nahe, dass die Verwendung eines solch „magischen“ Sonnensteins in der Wikingerseefahrt durchaus denkbar ist. Die Theorien der Wissenschaftler wurden im Jahr 2011 durch den Fund eines derartigen Kristalls erneut bestärkt. Im Wrack des britischen Segelschiffs „Alderney“ aus dem 16. Jahrhundert konnte ein 5,0 x 3,0 × 2,4 Zentimeter großes Exemplar geborgen werden.
Sonnenstein, oder auch: Kalzit, Kalkspat, Islandspat, Doppelspat
Dieser mysteriöse Sonnenstein wird gemeinhin als Kalzit oder Kalkspat bezeichnet. Durch sein häufiges Vorkommen in Island kennt man ihn auch unter dem Namen Islandspat. Ein Indiz, dass spätestens dort die Wikinger leicht an ihn herangekommen sein dürften. Doch auch in Skandinavien, dem Ausgangspunkt der Wikinger-Seefahrtrouten ist der Kristall häufig vertreten. Der vierte geläufige Name „Doppelspat“ ist noch interessanter für den marinen Einsatzzweck des Kristalls. Der Name rekurriert auf die doppelbrechende Eigenschaft des Kalkspats, denn betrachtet man die Sonne durch einen solchen Kristall, werden eintreffende Lichtbündel in zwei polarisierte Teilbündel gebrochen.
Diesen Effekt kann man sich für die Navigation zu nutze machen, auch wenn die Sonne von Wolken verdeckt ist. Hierfür hält man den Doppelspat nach oben, dreht ihn langsam und beobachtet die sich dabei verändernde Leuchtkraft der Strahlen. An einem bestimmten Punkt ergeben sich aus dem von den Wolken polarisiertem Licht zwei gleich helle Strahlenbündel. An diesem Punkt zeigt der Kristall erstaunlich präzise die Richtung der Sonne an. Aus diesem Grund nennt sich diese vermutete Methode der Wikinger auch „polarimetrische Navigation“.
36.000 Simulationen der „magischen“ Wikinger-Navigation
Um herauszufinden wie erfolgreich die Wikinger mit diesem Hilfsmittel navigieren konnten, haben die ungarischen Biophysiker Dénes Száz und Gábor Horváth über 36.000 digitale Simulationen durchgeführt. Der virtuelle Seeweg wurde zur Frühlingstagundnachtgleiche (angenommener Beginn der Seefahrtsaison) und zur Sommersonnenwende (längster Tag des Jahres) bestritten, wobei ebenfalls unterschiedliche Wikingerschiffstypen sowie 12 verschiedene Wetterszenarien simuliert wurden.
Die Verlässlichkeit der polarimetrischen Navigation unter diesen Bedingungen wurde durch eine weitere Variable auf die Probe gestellt: Die simulierten Seeleute schauten stündlich oder nur alle 2 bis 6 Stunden auf den Kristall um den Stand der Sonne zur Kursberechnung zu bestimmen. Száz und Horváth fanden hierdurch heraus, dass in 100 bzw. 92 Prozent (Frühlingstagundnachtgleiche bzw. Sommersonnenwende) der Fälle die Schiffe die südgrönländische Küste erreicht hätten, selbst wenn der Kurs nur alle drei Stunden mit Hilfe des Kristalls kontrolliert worden wäre. Kam der Sonnenstein in der Simulation nur noch alle 4 Stunden zum Einsatz, wäre die Wahrscheinlichkeit Südgrönland zu erreichen auf drastische 42 bzw. 39 Prozent gesunken.
Auch bei polarem Zwielicht und nach Sonnenuntergang
Die Simulation hat den Forschern gezeigt, dass selbst bei bedecktem Himmel mit ausreichend häufiger Kursbestimmung erfolgreich navigiert hätte werden können. Interessant ist auch, dass die Bestimmung des Sonnenstandes auch bis zu 40 Minuten nach Sonnenuntergang sowie im Zwielicht der nordischen Sommernacht bei bedecktem Himmel funktioniert hätte. In unserem digitalen Zeitalter heißt es damit Hut ab vor dem Geschick der einstigen Wikinger.